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30 May
30May

 Ich sage es nicht ohne Wehmut, mittlerweile zähle ich nicht mehr zu den jungen Menschen, aber deswegen kann ich sagen, dass ich schon sehr viele Regionen in Frankreich bereist und gesehen habe. Noch vor 25 Jahren sind wir nicht in allen Regionen richtig willkommen gewesen.

Mancher Verkäufer und manche Verkäuferin wollte uns partout nicht verstehen, obwohl man sich Mühe gegeben hatte, zum Beispiel das Wort ‚Merengue‘ richtig auszusprechen und mit Gesten darauf zu zeigen. Und natürlich musste es mit der gar nicht lange davor zurückliegenden Zeit des Krieges und der deutschen Besatzung in Frankreich zu tun haben.  Wir fragten uns damals natürlich,  was wir mit den Taten unserer Väter und Großväter zu tun hatten? Wir fühlten uns nicht verantwortlich dafür, trotzdem waren und sind wir die Nachkriegsgeneration und  das Geschichte heftig nachwirkt,  kann man auch erst erfassen wenn man älter ist.  

Die Zeiten, in der man uns abblitzen ließ, sind vorbei - auch ein Vorteil des Älterwerdens, man bekommt die sich ändernden Zeiten mit.  Vor Jahren sind wir in der Provence als ‚ Dˋamis européennes‘ , europäische Freunde, bezeichnet worden,  das war eine schöne Geste - wir fühlen uns nun seit etlichen Jahren in Frankreich sehr willkommen. 

Bis vor kurzem haben  wir aus unserer Liebe zu Frankreich nicht die Konsequenz gezogen auch die Sprache zu erlernen. Radebrechend konnten wir uns verständigen, um alle nötigen Dinge des Lebens  zu erhalten,  Getränke und Essen  zu bestellen, das alles klappte sehr gut, weil sich alle mittlerweile  verständigen wollen. Wir versuchen uns «un petit peu«  in Französisch und die Franzosen versuchen uns zu verstehen und meistens klappt es. 


Beim Durchstöbern alter Unterlagen meines Großvaters mütterlicherseits fiel mir ein Ahnenpass in die Hände, den er aus unerfreulichen Gründen 1933 erstellen musste. Offensichtlich hatte mein Opa aber an der Genealogie ein persönliches Interesse entwickelt und ging weiter zurück als es zwingend für die Nazis nötig gewesen wäre. So fanden  sich noch 1878  französische Namen in der Ahnenliste, sie reichten bis 1717 zurück: Tourbier und Sy, Hurtienne, Taleman, Britelet und Desmarks  es waren seine und damit natürlich auch meine Vorfahren, die während der Hugenottenvertreibung  in die Uckermark  flüchteten. Das hat mich sehr berührt, also habe ich auch ein paar französische Würzelchen. Ich hatte den Ahnen  bei meiner eigenen künstlerischen biografischen Auseinandersetzung einen Platz auf meinen Bildern gegeben. (Und innerlich schüttle ich meinen Kopf vor den ewig Verbohrten, die glauben, dass es reine Herkunftsbevölkerungen geben kann und freue mich darüber, dass die Wissenschaft mittlerweile sogar in jedem von uns Neandertaler-Gene finden kann.) Ich glaube wiederum dass mein Opa stark ausgeprägte südfranzösische  Gene in sich hatte, er sah einfach anders aus als andere deutsche Großväter.


Die erste Reise führte Paul  und mich natürlich nach Paris, dort waren wir mit unserem R4 unterwegs in einem preiswerten zwei Sterne Hotel mit viel zu weichem Bett, verblichenen schweren Gardinen,  einem Bidet mitten im Zimmer und einer Dusche im Raum. Paris in einer warmen Mainacht und blühenden schwerduftenden Lindenbäumen, unvergesslich!  

Dann die Reise mit dem Campingbus 1981, die gesamte Bretagne Küste entlang,  unser Sohn, anderthalb Jahre alt, auf einem, aus heutiger Sicht wahrscheinlich unsicheren, selbst gebastelteten Kindersitz, in der Mitte des zum Campingmobil umgebauten  Mercedes Hanomag, war auch angetan von der Landschaft. Als wir über einer Anhöhe auf das Meer zu fuhren, wuchs er in seinem Sitzchen und rief: ASASSA,  was wohl soviel bedeutete wie: guck mal, das Wasser! Wir fanden in Fréhel einen Campingplatz in wunderbarer Lage, natur- und  steilküstennah, aber mit Abgang zum Strand. Hier hin sollte es uns zu einer späteren Zeit  im Leben wieder hinführen – nur diesmal in ein Haus am Strand. 

Dann 1983 eine Reise mit beiden Kindern in die Manche,  in die Normandie, zu Madame Damcourt nach Regnéville. 

 Wir hatten das alte Gärtnerhäuschen hinter einer alten Villa bezogen, unsere Kinder waren noch winzig, unsere Tochter wurde in diesem Urlaub ein Jahr alt. Im Garten der Villa türmte sich eine Art Komposthaufen auf, auf dem sich größtenteils die Schalen von Jakobsmuscheln häuften. 

Dies musste eine bevorzugte Speise von Madame gewesen sein. Noch waren französische Essgewohnheiten eher Neuland für uns, aber interessant zu entdecken.

Spätere Urlaubsreisen führten in den Elsass, ins Zentralmassiv, in die Cevennen, in die Provence,  Languedoc  Roussillon, Médoc, Bourgogne, Loire  - und überall fanden wir das gewisse Extra, das uns nicht mehr losgelassen hat. 

Vielleicht ist es eine romantische Beziehung, die wir zu Frankreich verspüren und mir kommt der Begriff der ‚alten Welt’ in  den Kopf, die man überall spüren kann, die nicht wie wild und unüberlegt wegrenoviert wurde, um die Vergangenheit wegzumachen und auszuradieren.


Vor einigen Jahren sind wir in Neuseeland gewesen, was das auch für ein prächtiges Land ist, wie nett die Menschen dort miteinander umgehen. Aber was mir fehlte, war die von Menschen seit Generationen erbaute und gelebte Kultur: keine alten Monumente, keine Schlösser und Burgen, keine alten Gemäuer mit alten Türen, keine Zeichen aus früheren Zeiten -  das fehlte mir sehr. 


In Frankreich ist es so schön, dass mir selbst beim Fahren auf der Autobahn oft das Herz aufgeht.

Die Provence -Sehnsuchtsland - so schön, viele Male haben wir sie besucht – Friedhöfe, die an den schönsten Aussichtspunkten liegen, die man sich vorstellen kann, auf den ich die Idee bekam, dort einst beerdigt zu werden. Ich habe davon auch wieder Abstand genommen und möchte viel mehr unter einem heimischen Baum unterkommen und den schönen Platz denen überlassen, die dort geboren wurden. Ich dachte nur so bei mir, dass der Tod dort erträglicher sein muss- unter weitem Himmel und prächtiger Lage.


Seit Jahren mieteten wir schöne alte Häuser in all den wunderbaren Regionen und jedes Mal überkam mich ein Schauer, wie es wohl sein muss,  ein Teil dieses Landes sein zu dürfen. Also begann ich, so aus Lust und Laune Immobilienanzeigen zu studieren.Auch auf unseren Reisen zog  es mich hin und wieder zu den Schildern: „Maison à Vendre“, um mir immer wieder auch zu sagen – Quatsch, lass es sein! 


2019 ist meine geliebte Mutter gestorben und wir haben das 1970 gebaute Haus verkauft. Plötzlich war ein Geldpolster da, für das ich keine Pläne hatte. Und dann lief uns bei einem  Manche - Urlaub  im Herbst 2019 ein Haus über den Weg, auf dessen Dach sozusagen stand „für Paul und Tina“ - das war’s.  Wir haben es gemacht und nun gehört es uns.

Für uns ist das der Traum eines Hauses, originell, großzügig, Alleinlage, auf dem Land, nicht weit vom Meer, ein großes Grundstück. Noch wenige Jahre bis zur Rente, immer noch Pläne und Flausen im Kopf, z.B. Kunstangebote in der Normandie geben, oder sonst was!

Seither lerne ich französisch – ich kann es natürlich immer noch nicht – aber ich gebe nicht auf und freue mich, dass es nicht unmöglich erscheint,  eine neue Sprache zu lernen. Übrigens waren wir natürlich in Regnéville  bei der Villa von Madame Damcourt. Die Villa steht, sie ist leer und verfällt, der Garten sieht wild aus, ein alter Zaun säumt das Grundstück. Irgendwie traurig! Aber die Villa steht und wurde nicht abgerissen. Gerne hätten wir einen Blick in den hinteren Garten geworfen, um das Gärtnerhäuschen zu sehen. Jetzt hoffen wir, dass es einen Liebhaber findet, der die alte Villa wieder aufpäppelt.

September 2020

Tina Emsermann

Der Artikel ist auch auf der Webseite von Hilke Maunder   »mein Frankreich« erschienen. 


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